2014 – Zeit für einen großen Wurf

Das Jahr 2014 wird kein einfaches für Europa sein. Die Wahlen im Mai werden mit gewisser Wahrscheinlichkeit die Integrationsgegner im Europäischen Parlament stärken. Mit der zu erwartenden Fundamentalopposition werden wir uns demokratisch auseinanderzusetzen haben. Es besteht aber kein Anlass zur Panik. Es wird auch nach dem 25. Mai noch eine klare Mehrheit konstruktiver und verantwortungsbewusster politischer Kräfte im Parlament geben. Die Europäische Union wird an der möglichen Welle europaskeptischer Populisten nicht zerbrechen, und in fünf Jahren, wenn wieder gewählt wird und die Krise endlich überwunden ist, wird das Vertrauen der Menschen in Europa auch wieder größer sein.

EUD-Präsident Wieland (rechts) & Generalsekretär Moos

Die überparteiliche Europa-Union Deutschland kann und wird für den 25. Mai keine Wahlempfehlungen aussprechen. Für die Europa-Union als deutsche Sektion der europäischen Föderalisten ist es aber wichtig, dass diejenigen Parteien ins Parlament einziehen, die bereit sind, auch für Europa Verantwortung zu übernehmen. Unsere Überparteilichkeit kennt also eine klare Demarkationslinie. Offen europafeindliche Parteien, sich als Systemüberwinder gerierende Antidemokraten und Extremisten jedweder Couleur betrachten wir als Gegner, die es politisch, das heißt mit der Kraft des besseren Arguments, zu bekämpfen gilt.

In der Auseinandersetzung mit Europas Gegnern ist es wenig hilfreich, wenn an und für sich seriöse politische Kräfte Parolen der Populisten übernehmen, um rechte oder linke Flanken am Rande des politischen Spektrums zu bedienen. Der Preis, der mittel- bis langfristig für eine solche Anbiederung zu entrichten ist, könnte sich als sehr hoch erweisen. Wer Populisten nacheifert, schürt die Ängste der Menschen und wird am Ende sehen, dass undifferenzierte Angst im Zweifel gleich das „Original“ wählt. Den Beweis sehen wir in einigen Ländern.

Gewiss haben die Krisenjahre das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in Europa erschüttert. Erfreulicherweise lassen sich jedoch zu Anfang des neuen Jahres eine Reihe guter Argumente dafür anführen, dass die Krisenpolitik der Europäischen Union und der Eurogruppe Vertrauen verdient. Irland hat den Rettungsschirm verlassen, kann sich aus eigener Kraft refinanzieren, auch Spanien wird auf eine Abschirmung seiner Banken durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus verzichten können. Die Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Finanzen zeigen auch in Portugal Wirkung. Krisenstaaten, die Jahre einer scharfen Rezession hinter sich haben, kehren allmählich auf einen moderaten Wachstumskurs zurück. Die Lage in Griechenland bleibt zwar besonders schwierig, immerhin erzielte das Land 2013 aber einen Primärüberschuss, konnte also, rechnet man die Zinslasten heraus, ohne die Aufnahme neuer Schulden auskommen. Nahezu alle Krisenländer erzielen Zinssätze für Anleihen, die zum Teil seit Jahren nicht mehr gesehen wurden. Es wächst das Vertrauen der Märkte für den maßvollen Konsolidierungskurs.

Noch nicht am Ziel, aber schon ein gutes Stück vorangekommen ist die europäische Bankenunion. Besonders das Europäische Parlament hat auf eine zukunftsfeste Finanzmarktregulierung geachtet und diese auch durchgesetzt. Die Wirtschafts- und Währungsunion konnte so reformiert werden, dass sie den Euro dauerhaft stabilisiert. Die Gemeinschaftswährung ist heute weit weniger durch spekulative Angriffe gefährdet als noch vor wenigen Jahren. Jeder spürt, dass wir uns auf sichererem Grund bewegen als noch vor einem Jahr. Wir freuen uns über diese hoffnungsvollen Entwicklungen.

Es bleibt aber viel zu tun. Das betrifft zum einen die Lösung der tiefen sozialen Krise, die viele EU-Staaten und besonders einige Mitglieder der Eurozone erfasst hat. Das betrifft zum anderen die weiteren, notwendigen Schritte hin zu einer Politischen Union, die die Wirtschafts- und Währungsunion vollendet.

Solange die Arbeitslosigkeit in Europa auf so hohem Niveau bleibt wie derzeit, wird es enorm schwer sein, das Vertrauen einer großen Mehrheit in die europäische Integration zurückzugewinnen. Das gilt vor allem für die in vielen Teilen Europas katastrophal hohe Jugendarbeitslosigkeit. Das wirtschafts- und sozialpolitische Auseinanderdriften der EU-Mitglieder muss dringend gestoppt, die bereits eingetretene Entwicklung umgekehrt werden. Herausforderungen dieser Größenordnung sind nur gemeinsam zu bewältigen. Sie erfordern Veränderungsbereitschaft von allen Europäerinnen und Europäern, auch von uns Deutschen. Die Aufgabe ist zu groß, als dass wir meinen könnten, es reiche aus, wenn Einzelne, vermeintlich unseriös haushaltende oder reformunwillige Staaten und Gesellschaften sich mühen.

Nach wie vor fehlt es an einer verbindenden Vision für die Gestaltung der europäischen Zusammenarbeit in den nächsten Jahren. Die 2020-Strategie der Europäischen Kommission erfüllt diese Funktion nicht; die Lissabon-Strategie wird die Menschen auch in neuem Gewand nicht begeistern können. Rat und Parlament sollten sich auf gemeinsame Ziele verständigen, die eine klare, verlässliche und die Menschen überzeugende Agenda für ein demokratisches, sicheres und auch sozial nachhaltiges, wirtschaftlich prosperierendes Europa vorgeben. Eine wichtige Grundlage dafür wäre das Einvernehmen wichtiger EU-Staaten im Europäischen Rat. Diejenigen, die auf der Bremse stehen, dürfen nicht das Tempo vorgeben.

Bereits für 2013 hätten wir uns entschiedenere Schritte hin zu einer Politischen Union gewünscht. Viele zentrale Fragen wurden aus einer Reihe von Gründen ausgeklammert, auf die Zeit nach den Wahlen zum Europäischen Parlament vertagt. Wir bedauern dies. 2014 wird es, spätestens nach der Europawahl, höchste Zeit für einen neuen politischen Prozess, den mit seinen Partnern in Gang zu setzen Deutschland zweifelsohne große Mitverantwortung trägt. Es ist Zeit für einen großen europapolitischen Wurf.

2014 wird reich an historischen Gedenktagen sein. Die Erinnerung an den Ausbruch des Großen Krieges, wie die Franzosen den Ersten Weltkrieg nennen, sollte Anlass geben die deutsch-französischen Beziehungen, von denen die europäische Entwicklung immer abhing, auf eine erneuerte Grundlage zu stellen. Spätestens nach den Europawahlen braucht es eine gemeinsame Initiative, mit der Deutschland und Frankreich, ihrer gemeinsamen Verantwortung für Europa gerecht werdend, Führung zeigen. Im Idealfall sollte diese Initiative im Rahmen des viel zu wenig genutzten Weimarer Dreiecks sowie unter Einschluss weiterer nordischer und südeuropäischer Staaten erfolgen. Sicherlich können Deutschland und Frankreich die Probleme einer Gemeinschaft von 28 Staaten nicht allein lösen. Ohne ein enges Einvernehmen zwischen Berlin und Paris wird es aber nicht gehen.

Eine neue europäische Dynamik ist auch vonnöten, um London wieder enger an die Union anzubinden. Das mag ob der weit verbreiteten Europaskepsis der Briten widersprüchlich erscheinen. Gerade Großbritannien braucht aber eine klare, führungsstarke und perspektivreiche kontinentale Initiative. Der Preis einer Loslösung des Vereinten Königreichs von Europa kann nur höher werden, wenn Europa sich als handlungsfähig erweist. Europa braucht Großbritannien, Deutschland braucht Großbritannien in Europa. Das gilt nicht zuletzt aus sicherheitspolitischen, vor allem aber aus wirtschaftspolitischen Erwägungen. Denn die Briten sind besonders für uns Deutsche verlässliche Partner, nicht nur wenn es um Handelsfragen geht. Gegen Großbritannien laufen weniger Vertragsverletzungsverfahren als gegen andere, als integrationsfreundlich geltende Mitgliedstaaten. Aber auch Großbritannien braucht Europa. Sogar Washington sah sich veranlasst, London für den Fall eines EU-Austritts vor einem globalen Bedeutungsverlust - auch als Verbündeter - zu warnen.

Eine sichtbare politische Handlungsfähigkeit der Union ist auch deshalb unverzichtbar, weil die EU sonst von innen her zerfasert. Westliche Werte wie die Rechtsstaatlichkeit, aber auch europäische Werte wie die Freizügigkeit drohen dann in Frage gestellt zu werden.

Die EU braucht klare politische Linien, weil sie und ihre Mitglieder sonst von den Problemen um sie herum eingeholt und schlussendlich überrollt werden. Die Herausforderungen in der Nachbarschaft Europas sind enorm groß. Das ist mehr als das zuweilen schablonenhaft wirkende Argument der Globalisierung, in der die Europäer nur gemeinsam bestehen können. Wohin man auch sieht, vom unruhigen Maghreb über das am Rande eines Bürgerkriegs stehende Ägypten und die arabische Halbinsel mit ihren, vor allem in Syrien schwelenden und offenen Brandherden, von der von einer innenpolitischen Krise erfassten Türkei über den Iran und die nach wie vor ungelöste Nuklearfrage nach Russland, das seine inneren Widersprüche und Schwächen durch eine neoimperiale Politik zu verdecken trachtet und in die zwischen Ost und West zerrissene Ukraine, überall sind die Dinge in Bewegung geraten.

Auch jenseits der an Europa angrenzenden Regionen herrscht bedrohliche Instabilität. Das gilt vor allem für Ostasien, dessen Lage auf bedrückende Weise an die Europas am Vorabend des Ersten Weltkriegs erinnert. Der Weltfriede war seit dem Ende des Kalten Krieges und vielleicht sogar seit der Kuba-Krise nicht mehr so bedroht wie heute. Ein internationaler Faktor der zählt und der stabilisierend auch außerhalb Europas wirkt und damit die Sicherheit und das Wohlergehen auch aller Menschen in Europa gewährleistet, kann nur ein überzeugendes, gemeinsames Auftreten der Europäerinnen und Europäer sein. Leider ist die Europäische Union 2014 noch weit von einem solchen überzeugenden, gemeinsamen Auftreten in der Welt entfernt.

Die europäische Idee mag nicht mehr leicht zu vermitteln sein, wenn sie ausschließlich an die Gründungsmotive der Gemeinschaft anknüpft. Dennoch: Der Gedanke, das friedvolle Zusammenleben der Staaten und Völker in Europa durch gemeinsame Institutionen und die Teilung von Souveränität zu ermöglichen, bleibt so aktuell wie eh und je und eben weit mehr als nur eine Lehre aus der Vergangenheit. Die Präambel des Grundgesetzes beschreibt das Leitmotiv der Bundesrepublik Deutschland, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Das ist nicht bloß Prosa. Vielmehr bedeutet dieser Satz, „dass die Bundesrepublik Deutschland in einem vereinten Europa aufgehen kann“ (Dieter Hesselberger).

Ein geeintes und starkes Europa ist die Voraussetzung für unser Überleben in der Zukunft, die mit der Bewältigung der uns 2014 bedrängenden Probleme und Gefahren anfängt.

Lassen Sie uns zusammen für die europäische Idee werben! Setzen wir uns gemeinsam ein für einen neuen europäischen Elan. Das Jahr 2014 wird unseren Verband mit seinen Hochtagen der europäischen Erinnerung und den Europawahlen in besonderer Weise fordern. Wir müssen aber auch nach vorne schauen. Das alles wird nicht ohne Sie zu leisten sein! Wir möchten Ihnen an dieser Stelle für Ihr großartiges ehrenamtliches Engagement in der überparteilichen Europa-Union, für Ihren unermüdlichen Einsatz für die europäische Idee danken.

Die Europa-Union wird sich in diesem Jahr und darüber hinaus mit all diesen Fragen befassen, sie wird als größte und älteste deutsche Bürgerinitiative für Europa ihre Stimme hörbar einbringen in den öffentlichen Diskurs um die weitere europapolitische Entwicklung. Die Europa-Union kann dies jedoch nur, weil es Sie gibt, europapolitisch interessierte Bürgerinnen und Bürger und die vielen ehrenamtlich aktiven Mitglieder unseres Verbandes. Wir wollen gemeinsam mit Ihnen auch 2014 neue Wege für die Europa-Union beschreiten, um unseren Verband weiter zu stärken.

Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien ein glückliches, gesundes und erfolgreiches neues europäisches Jahr!

EUD-Präsident Rainer Wieland & Generalsekretär Christian Moos